And So This Is Christmas - wohl eher nicht.

And So This Is Christmas - wohl eher nicht. von annalenaxoxo



Das Klingeln an der Tür ließ mich aufmerksam werden.
So schnell es meine hohen Schuhe mir erlaubten, lief ich zur Tür um sie zu öffnen.
Wir hatten den 24. Dezember, es war Weihnachten und eigentlich freute ich mich nur bedingt auf die Feiertage. Ich würde sie gemeinsam mit Bobby, meiner Familie und seinen Eltern verbringen und um ehrlich zu sein machte ich mir ein wenig Gedanken um das erste Aufeinandertreffen unserer Eltern.

Ich hatte alles soweit vorbereitet, Bobby hatte sich um den Weihnachtsbaum gekümmert – ich war nicht überzeugt, ob er auch wirklich stehen bleiben würde – und April, meine Freundin, hatte mir heute den Nachtisch vorbei gebracht, den Claire, die Mutter von Robert und Aprils Freund, extra gemacht hatte. Alles, was ich soweit hatte planen können, war ich bis ins kleinste Detail durchgegangen, in der Hoffnung, dass dieses Jahr Weihnachten perfekt sein würde.

Draußen bedeckte eine dünne Schicht Schnee ganz London, nur selten hörte es überhaupt auf die dicken weißen Flocken vom Himmel zu schneien.
»Bobby? Tu mir einen Gefallen und halt Artemis auf. Ich möchte nicht, dass unser kleiner Stubentiger unseren Besuch sofort anfällt«, rief ich über die Schulter hinweg und konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen, als ich einen Moment später unschönes Fluchen hörte und irgendetwas dumpf aufprallte.
Kopfschüttelnd wandte ich mich der Tür zu und öffnete sie schwungvoll und ohne einen Gedanken zu verlieren.

»Aah, meine Kleine!«
Bevor ich auch nur einmal mit der Wimper zucken konnte, war ich bereits in der erstaunlich festen Umarmung meiner Mutter gefangen, die mich gleichzeitig ungeduldig in meine eigene Wohnung schob.
»Schön dich zu sehen, Mom«, nuschelte ich unbeholfen in ihr Haar und war ehrlich gesagt erleichtert, als sie mich wieder losließ.
»Frohe Weihnachten«, wünschte mir nun auch mein Vater, drückte mich einmal fest an sich und schloss kurz darauf die Tür hinter sich.

»Ich denke ich kann sie nicht mehr lange zurückhalten«, hörte ich Bobby aus dem Wohnzimmer rufen, bevor kurz darauf weitere Flüche ertönten, »Wenn du möchtest, dass sie mich umbringt, solltest du lieber die Türe schließen.«
Ich konnte nur erneut den Kopf über ihn schütteln und als ich die verwirrten Gesichter meiner Eltern sah, winkte ich nur ab und erklärte ihnen schlicht, dass Artemis, meine kleine Katze, sich noch nicht an Bobby gewöhnt hatte und weiterhin um das Sagen in diesem Haus mit ihm kämpfte.
»Du kannst sie ruhig loslassen«, gab ich Bobby endlich die Erlaubnis und schon kam ein beiges Fellknäul um die Ecke geschossen.
Schlitternd kam Artemis vor den Füßen meiner Mutter zum Stehen und schaute sie durch ihre großen grauen Augen an.
»Du meine Güte, ist die aber noch klein«, meinte meine Mutter sofort begeistert, ging in die Knie und strich Artemis über den Kopf.
Zumindest solange, bis sich ihre kleinen, spitzen Zähne in ihre Hand gruben.
»Sie ist misstrauisch und nicht gerade erpicht darauf, neue Bekanntschaften zu machen«, meinte ich entschuldigend, hob Artemis hoch und trug sie in die Küche, wo ich ihr schnell etwas zum Fressen gab, dass meine Eltern und Bobby eine kleine Schonfrist bekamen.

Ich hatte Artemis erst vor ein paar Wochen in einer Tierhandlung gekauft und während sich die Kleine schnell an mich gewöhnt hatte, war ihr Bobby nicht gerade geheuer. Das lag vermutlich auch daran, dass ich mich etwas weniger um sie kümmerte, wenn er da war.

Meine Eltern waren mir in die Küche gefolgt, schauten sich genau in der kleinen Wohnung um, in der sie bald gemeinsam mit Bobbys Familie essen würden und schon graute es mir wieder vor dem Zusammentreffen.
Ich bot meiner Mom und meinem Dad gerade etwas zum Trinken an, als es erneut läutete.
»Ich mach schon«, erklang plötzlich Bobbys Stimme in meinem Rücken und nachdem er mir einen kurzen Kuss gegeben hatte, war er auch schon verschwunden.
Meine Eltern begnügten sich mit einem kurzen Nicken zur Begrüßung, kannten Bobby bereits, da ich ihn ihnen vor einem halben Jahr vorgestellt hatte und wie zu erwarten gewesen war, hatten sie ihm sofort aus der Hand gefressen.
Meine Mutter warf mir einen fragenden Blick zu und ich lächelte nur, weshalb sie sofort wusste, dass immer noch alles bestens zwischen uns lief.
Natürlich war Bobby immer noch etwas eingeschüchtert, oftmals überfordert, doch ergänzten wir uns nahezu perfekt und waren bereits nach wenigen Monaten eins dieser Paare, die beängstigender Weise ihre eigenen Sätze gegenseitig beendeten.
Meine Freundin April konnte davon ein Liedchen singen.

Draußen im Flur fiel unsere Haustür laut ins Schloss und kurz darauf waren laut die Stimmen von einer Frau und einem Mann zu hören, einem starken, britischen Akzent inklusive.
Mein Dad warf mir einen unsicheren Blick zu und hätte ich nicht gewusst, dass das niemals möglich sein könnte, wäre ich hundertprozentig davon überzeugt gewesen, dass er genauso viel Bammel vor diesem Abend hatte wie ich.
»Prost«, nuschelte ich nervös vor mich hin und kippte mein Glas Wein in einem Zug hinunter.
Es war das erste Mal, dass ich Bobbys Eltern treffen würde und ich hatte eine Heidenangst davor, dass sie mich vielleicht nicht mögen könnten oder ich mich unnötigerweise und unweigerlich oft vor ihnen blamieren würde.
Ich stellte laut mein Glas ab, atmete einmal tief durch und hatte gerade noch Zeit ein Lächeln aufzusetzen, als es auch schon soweit war.
Bobbys verwuschelte Haare schoben sich in mein Sichtfeld und schon war er an meiner Seite und hatte mir etwas unbeholfen einen Arm um die Hüfte gelegt.
»Mom, Dad, das ist Hayley«, stellte er mich etwas kleinlaut vor und ich war erleichtert, das freundliche Lächeln in den Gesichtern von Bobbys Eltern zu sehen.
Ich befreite mich sanft aus seinem lockeren Griff und ging einen Schritt auf die beiden zu.
»Freut mich sehr Sie endlich kennenzulernen Mr und Mrs Long«,begrüßte ich sie und wollte ihnen die Hand reichen, als mich Mrs Long unkompliziert in ihre Arme zog.
»Bobby hätte dich uns schon viel früher vorstellen sollen«, lachte sie in mein Haar und drückte mich fest an sich, »Und Schätzchen, du kannst mich ruhig Catherine nennen. Da komm ich mir nicht so alt vor.«
Mit einem Zwinkern in den Augen ließ sie mich los und für einen Augenblick wusste ich nicht so recht, was ich davon halten sollte.
Ach, was soll's, dachte ich mir kurz darauf, zuckte kurz mit den Schultern, ehe ich seinen Vater ebenfalls in meine Arme schließen wollte, doch wurde ich sofort von ihm vor den Kopf gestoßen.
»Hayley, es freut mich wirklich außerordentlich dich kennenzulernen«, meinte er in einem tiefen Bariton und streckte mir die Hand entgegen, was mich sofort rot anlaufen ließ, da meine Arme bereits ausgestreckt und bereit für eine Umarmung waren.
Schnell rettete ich mich, indem ich seine warme Hand ergriff und ein, »Ganz meinerseits, Sir«, vor mich hinstotterte.
Mit einem dunklen und wohlklingenden Lachen zog er mich plötzlich in seine Arme und drückte mich einmal fest.
»Junge, ich verzeih dir mal, dass du dir eine Deutsche ausgesucht hast«, rief er ausgelassen und schenkte mir noch ein breites Grinsen, ehe er mich bestimmt in Bobbys Richtung schob, »Und bitte, mein Name ist Henry.«
Wenn möglich lief ich sofort noch röter an, machte mit Sicherheit einer überreifen Tomate Konkurrenz, denn irgendwie lief das alles ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte.

Einem kurzen Augenblick, in dem ein dicker fetter Frosch im Hals mich am Sprechen hinderte, herrschte von meiner Seite aus vollkommenes Stillschweigen, weshalb ich überaus erleichtert war, als meine Eltern die Situation selbst in die Hand nahmen und sich ohne meine Hilfe vorstellten.
Es war der Moment, in dem ich mich einfach nur an Bobby lehnen konnte und seine Eltern das erste Mal wirklich betrachten konnte.
Catherine Long war eine recht hübsche Frau.
Sie hatte langes, braunes Haar, dass ihr in leichten Wellen über die Schultern floss und ein offenes und freundliches Gesicht, dass einen sofort anstrahlte, wenn sie einen aus ihren blauen Augen ansah.
Ihr Lächeln war herzlich und warm, die leichten Grübchen in Wangen und Kinn ließen sie jünger erscheinen, als sie vermutlich war, denn man konnte bereits Lachfalten sehen, die ihre Augen umrahmten und doch schien sie mit Würde zu altern. Sie war kein Model, hatte nicht die perfekte Figur, und eben weil sie etwas kleiner und eine schlichtweg normale Statur besaß, war sie so erfrischend normal und sympathisch.
Henry Long, Bobbys Vater, erging es in meinen Augen genauso.
Sein dunkles Haar ergraute bereits an den Schläfen und auch Falten zogen sich, wenn auch nicht zu häufig, durch sein Gesicht.
Die Augen hatte Bobby definitiv von seiner Mutter geerbt, denn die von Henry waren von einem dunklen braun-grün, in denen unaufhörlich der Schalk zu blitzen schien, was ihn jünger und wie einen frechen Jungen wirken ließ.
Man konnte in seinem Gesicht noch deutlichen den kleinen Jungen von früher sehen, der er einmal gewesen war, uns seinen Freunden und Lehrern nur zu gern Streiche gespielt hatte.
Sie waren beide ganz normale Durchschnittsmenschen, die einen normalen Beruf hatten und ein normales Familienleben führten. Genauso, wie ich es mir auch vorgestellt hatte – von Bobbys drei Schwester, die ich allesamt noch nicht hatte kennenlernen dürfen, mal abgesehen.

»Miau!«
Leicht verdattert bemerkte ich, dass bereits alle ein weiteres Glas Wein in den Händen hielten und Artemis sich ungehalten gegen meine Beine drückte.
Ich nahm gerade das Glas entgegen, dass mir meine Mom reichte und wollte mich zu Artemis hinunter beugen und sie streicheln, da hörte ich Bobby bereits neben mir laut und unschön Fluchen.
Das kleine Fellknäul war kompromisslos an seinem Bein hochgesprungen und hatte sich in seinen Oberschenkel gekrallt, während es ihn anfauchte und seinen Kopf gleichzeitig meiner Hand entgegen reckte.
»Artemis!«, tadelte ich sie sofort, konnte mir jedoch ein winziges Grinsen nicht verkneifen, als ich mein Glas abgestellt hatte und sie in meine Arme hob.
Sofort begann sie lauthals zu schnurren, kuschelte sich an mich und drückte ihr kleines Köpfchen mit geschlossenen Augen gegen meinen Hals.
»Da hat sich aber jemand Feinde gemacht«, lachte mein Dad und es dauerte nicht lange, da fiel Henry mit ein und ohne ein weiteres Wort zu verlieren, verzogen sich die beiden auf die Couch im Wohnzimmer.
»Ich.. mach mich dann mal an die Gans«, meinte ich und machte mich bereits an unserem Kühlschrank zu schaffen.

»Kann ich dir irgendwie behilflich sein?«, wollte Bobby wissen und schlang seine Arme von hinten um mich.
Das war für mich definitiv ein Hinweis darauf, dass sich unsere Mütter ebenfalls verzogen haben mussten.
»Du könntest Artemis von der Küche fernhalten«, säuselte ich beschwörend vor mich hin, lehnte meinen Kopf gegen seine Brust und schenkte ihm mein schönstes und betörendstes Lächeln.
Zumindest versuchte ich es.
»Hayley, ich weiß nicht so recht ob das eine gute Idee ist.«
Bobby klang ziemlich zerknirscht bei seinen Worten und doch hörte ich deutlich die unterschwellige Unsicherheit in seiner Stimme.
»Mein Gott, du wirst doch wohl ein paar Minuten mit einer Katze auskommen, die nicht einmal bis zur Mitte deines Knies reicht«, tadelte ich ihn ungehalten und drehte mich seufzend zu ihm herum.
»Bitte. Das kann ja nicht so schwer sein und Artemis wird sich bestimmt benehmen.«
Ich legte den Kopf schief und richtete den Kragen seines Hemdes etwas – er konnte nicht einmal an Weihnachten eins seiner geliebten Karohemden im Schrank hängen lassen – und als er schließlich seufzte und etwas vor sich hin grummelte, drückte ich ihm einen Kuss auf die Lippen und wandte mich ungerührt wieder dem Kühlschrank zu.
Kopfschüttelnd hörte ich, wie er ins Wohnzimmer stapfte und nach Artemis rief, während ich bereits alle Zutaten herausholte und schon bald darauf die Gans in den Ofen schob.

Ich hatte bereits heute morgen in der Küche gestanden und sie soweit vorbereitet, dass ich mir keine Sorgen mehr machen brauchte, dass etwas schief gehen würde, was das Essen für heute Abend betraft.
Irgendjemand, ich vermutete stark, dass es meine Mom gewesen war, hatte die kleine Stereoanlage entdeckt und einen Sender eingeschaltet, der ununterbrochen Weihnachtslieder spielte und allein in der halben Stunde, die ich in der Küche verbracht hatte, war grob geschätzte sieben Mal „Last Christmas“ von Wham durch die Wohnung gedudelt.
»So, das hätten wir erledigt«, murmelte ich mit einem stolzen Lächeln auf den Lippen vor mich hin, stellte den Wecker, dass mir die Gans auch nicht anbrennen würde und gesellte mich zu den anderen ins Wohnzimmer.

Der Anblick der sich mir bot war verstörend und beruhigend zugleich.
Bobbys Eltern unterhielten sich angeregt mit meinen, unsere Väter über ihre Leidenschaft für Autos und deutsches Bier, unsere Mütter über den Stress vor Weihnachten, wo sie die Geschenke gekauft hatten und welche Plätzchenrezepte die Besten waren.
Bobby hingegen, kämpfte mit Artemis.
»Du...«, grollte er bereits, packte sie und hob sie mit einem Satz in seine Arme, ignorierte, dass sie ihre Kralen in seinen Arm schlug und ihre Zähnchen in seiner Hand verschwanden, ehe er sie mir kommentarlos in die Arme drückte.
»Mag sein, dass das vielleicht ganz einfach ist, aber bei mir ist sie einfach ein Monster! Ich bin überzeugt, wirklich felsenfest davon überzeugt, dass Artemis mich aus diesem Haus vergraulen möchte!«
»Was redest du nur immer für ein Quatsch«, lachte ich und streichelte Artemis, woraufhin sie sogleich anfing zu schnurren.
»Siehst du!«, meinte er tatsächlich beleidigt und funkelte das kleine Fellknäul in meinen Armen wütend an, »Da hast du den Beweis! Jetzt stehst du schon auf ihrer Seite, während sie mich verkratzt und mir das Leben zur Hölle macht sobald ich auch nur einen Fuß in diese Wohnung setze.«
Seufzend ließ ich Artemis wieder auf den Boden.
»Ich hoffe du weißt, dass du gerade ziemlichen Mist von dir gibst.«
Ich schlang meine Arme um seinen Hals und legte meine Lippen auf seine, schenkte ihm einen langen, zärtlichen Kuss.
»So ist es schon besser«, murmelte Bobby amüsiert gegen meine Lippen und ich schmunzelte.
»Glaub bloß nicht, dass das zur Gewohnheit wird«, scherzte ich, drückte ihm noch einen flüchtigen Kuss auf die Lippen und machte mich gerade auf den Weg in die Küche, um das Dessert soweit fertigzumachen.
Das heißt, ich wollte, denn unerwarteter Weise klingelte es plötzlich an der Tür.
»Wer zur Hölle…«, murmelte ich vor mich hin und warf Bobby einen fragenden Blick zu, doch er zuckte nur ratlos die Schultern.

Der Blick durch den Türspion ließ mich nur einen Blick auf blondierte Haare erhaschen, ehe sich ein kleiner Junge mit breitem Grinsen ins Sichtfeld schob.
Ich hatte beim besten Willen nicht die geringste Ahnung, um wen es sich bei dem unangekündigten Besuch handelte und kaum hatte ich die Tür geöffnet, schoss der kleine Junge mit den dunklen Löckchen an mir vorbei.
»Onkel Bobby!«, schallte es kurz darauf durch die Wohnung und ich konnte deutlich hören, wie Tumult im Wohnzimmer ausbrach.
»Frohe Weihnachten«, wünschte mir die junge Frau in der Tür mit einem breiten Lächeln im Gesicht und zog mich überraschenderweise in eine herzliche Umarmung.
»Ääm«, stotterte ich vollkommen überrumpelt vor mich hin, »Frohe Weihnachten - ebenfalls.«
»Du liebe Güte, wo sind nur meine Manieren geblieben!«, rief sie plötzlich aus, schob mich von sich, doch ließ meine Schultern nicht los, »Wir wurden uns ja noch gar nicht vorgestellt…. Nun ja, mein Name ist Veronica! Ich bin eine von Bobbys Schwestern.«
»Ääm Hayley.«
Wieder ein "äm".
Sehr überzeugend.

»Ronnie?!«, kam es überrascht von Bobby, der in meinem Rücken stand und als ich mich zu ihm umdrehte, hatte er bereits den kleinen, stürmischen Kerl in seine Arme gehoben.
»Hallo Bruderherz! Fröhliche Weihnachten!«
Gerade noch rechtzeitig konnte sich der Kleine aus Bobbys Armen befreien und entging somit knapp der klammernden Umarmung seiner Mutter.
»Bist du Tante Hayley?«
Die Stimme des kleinen war noch hell, so unberührt und unschuldig, doch gefror mir bei seinen Worten das Blut in den Adern.
Tante? Ich sollte plötzlich Tante sein?
Bobby und ich waren doch nicht mal im Ansatz so etwas wie verlobt.
»Ich… Ich denk schon, dass ich das bin«, antwortete ich ihm unsicher und zögerlich, doch das schien ihn nicht zu stören.
Viel mehr schenkte er mir ein breites, glückliches Grinsen, dass ich zu erwidern versuchte.
»Ich bin Collin. Ich bin schon vier Jahre alt!«, stellte er sich mir sichtlich stolz nach einer kurzen Pause vor und drückte sich an mich.
Was so viel hieß, dass er seine Arme etwas unbeholfen, jedoch äußerst fest um meine Beine schlang.
Mit einem Lächeln in Bobbys Richtung wuschelte ich dem Kleinen durch die braunen Locken und hob die Schultern, als Bobby mit seinen Lippen ein "Alles okay?" formte.

»Wooow, ist das deine?«, fragte er mich aufgeregt, als Artemis gemütlich aus der Küche getrottet kam und mit gesträubtem Fell wieder dorthin flüchtete, als Collin, ohne auf eine Antwort meinerseits zu warten, ihr hinterher sprintete und sogleich die Verfolgung aufnahm.
Ich seufzte.
Nicht einmal warnen hatte ich ihn vor dem kleinen, launischen und vor allem widerspenstigen Knäul und seinen fiesen Krallen und Zähnen können.
»Ich hatte ehrlich keine Ahnung, dass Ronnie vorbeikommen würde.«
Bobby war neben mir aufgetaucht, hatte mir einen Arm um die Hüfte gelegt und zog mich an sich.
Wieder ein Seufzer.
»Schon gut, ich denke die Gans wird auch noch zwei weitere hungrige Mäuler stopfen können.«

Ich drückte ihn noch einmal kurz, ehe ich ins Wohnzimmer stöckelte und mir einen Überblick über die momentane Lage machte.
Dad saß immer noch mit Henry auf dem Sofa, aß fleißig Plätzchen und unterhielt sich angeregt mit Bobbys Vater. Was meine Mom betraf, der erging es ähnlich.
Nun ja, von den Plätzchen mal abgesehen.
Mittlerweile waren sie dazu übergegangen, sich gegenseitig mit peinlichen Geschichten über Bobby und mich zu übertrumpfen, was genau genommen verdammt peinlich war, doch hatte ich jetzt keine Zeit mich darüber aufzuregen.
Hinter mir hörte ich Bobby - wie so oft schon heute Abend - unschön fluchen und als ich mich zu ihm umwandte, hatte sich Artemis mal wieder in sein Bein gekrallt, doch kletterte sie dieses Mal sogar bis auf seine Schulter.
Fauchend saß sie da, die Ohren angelegt und fixierte Collin, der vor Bobby stand und durch Hüpfen versuchte an Artemis dran zu kommen.
Nun ja, da hatte er die Rechnung ohne Bobby gemacht, denn der Kleine reichte ihm nicht einmal bis zur Hüfte.
»Das wird mir langsam zu viel«, jammerte Bobby wütend vor sich hin, pflückte das wild fauchende Knäul von seiner Schulter und drückte es mir grummelnd im vorüber gehen in die Arme.
Um ehrlich zu sein, ein Kichern konnte ich mir dabei wirklich nicht verkneifen.

»Tante Hayley, wieso ist die Katze so böse zu mir?«
Collin.
Er stand vor mir, mit großen Augen, hatte die Unterlippe vorgeschoben und schien ehrlich betroffen zu sein.
Tja, mein liebes Kätzchen ist nun mal gut erzogen, dachte ich mir, doch schenkte ich ihm ein aufmunterndes Lächeln und ging ein wenig in die Hocke - meine Güte, die Schuhe brachten mich dabei wirklich um!
»Weißt du, Collin, Artemis mag es nicht so gerne, wenn jemand sie verfolgt und durch die Gegend schleift«, versuchte ich ihm möglichst leicht verständlich zu erklären, dass er Artemis rein theoretisch gesehen, definitiv foltern würde, wenn er sie erwischen und mit sich rumschleppen würde, »Schau mal, Artemis kennt dich noch nicht und hat vielleicht auch noch etwas Angst« - mit Sicherheit hatte sie das, ich konnte es ihr nicht verdenken - »vor dir und ist halt noch ein wenig… vorsichtig. Das liegt in ihrer Natur.«
»Meinst du, wenn ich gaanz lieb zu ihr bin, mag sie mich dann?«, fragte Collin mit gesenkter Stimme und nahm anscheinend meine Worte ernst.
Er wollte Artemis auf keinen Fall erschrecken, die sich mal wieder an meinen Hals kuschelte und  einem Rasenmäher mit ihrem Schnurren Konkurrenz machte.
Ich nickte zustimmend.
»Es wird zwar ein wenig dauern, aber wenn du sie ab und zu vorsichtig streichelst und uns vielleicht auch öfter Besuchen kommst, könnte sie dich bald als ihren neuen besten Freund haben.«
Collin strahlte mich bei meinen Worten an, bekam ganz große Augen, streckte vorsichtig die Hand aus und streichelte behutsam über Artemis weiches Fell, während sie mit geschlossenen Augen weiter vor sich hin schnurrte.
Ich wartete so lange wie möglich, doch gab ich es bald auf und ließ Artemis wieder runter, da meine Beine zu wackeln begannen und ich mir nicht sicher war, wie lange ich noch in dieser Position mit diesen Schuhen problemlos verharren konnte.
Collin schlich derweil hinter meinem kleinen Kätzchen hinterher, schwer darauf bedacht, auf gar keinen Fall auf sich aufmerksam zu machen.
Ich wollte gerade noch einmal den anderen etwas zu Trinken anbieten, bevor ich einen neuen Versuch starten und mich ans Dessert wagen wollte.

»Mommy?«
Es war Collins Stimme, die aus der Küche durch die gesamte Wohnung schallte und die Grund dafür war, dass Artemis nur einen Augenblick später an mir vorbei schoss.
»Mommy!«, versuchte er es erneut und steckte seinen Kopf aus der Küchentür.
»Was ist den Schätzchen?«, fragte Ronnie, Bobbys Schwester, ihn bereitwillig und ging vor ihm in die Hocke, als sie aus dem Wohnzimmer aufgetaucht war.
»Mommy, warum ist der große Hügel im Ofen so schwarz?«
Es war eine typische Frage für kleinere Kinder. Natürlich wollten sie alles wissen, was sie sich nicht erklären konnten.
Und obwohl Veronica bei seiner Frage ratlos dreinblickte und ihn gerade fragte, was genau er denn meinte, sprintete ich schon mit einem Kampfgebrüll, dass einer ganzen Armee von Hunnen durchaus Konkurrenz machen konnte, so schnell es eben mit den hohen Schuhen mir gelang in die Küche und stürzte mich wild fluchend - ich verfiel automatisch ins Deutsche, weshalb ich mir um Collins Ohren keine Sorgen machen musste - auf den Ofen.
Dichter, schwarzer Qualm kam mir sofort entgegen, kratzte mir im Hals und brachte mich zum Husten.
Da der Rauch so in der Nase biss und in den Augen brannte, hielt ich sofort die Luft an und petzte meine Augen zu, während ich blind nach einem Küchentuch griff und es durch die Luft wirbelte.
Langsam aber sicher legte sich der Qualm, das konnte ich spüren, doch roch es weiterhin streng nach verbranntem Fleisch und als Bobby neben mir ankam und fragte, was denn passiert sein, konnte ich nichts anderes als weiterhin wild auf deutsch zu fluchen.

»Hayley? Was ist denn passiert?«
Meine Mom.
Natürlich, sie und Dad hatten im Gegensatz zu den anderen nicht die geringsten Schwierigkeiten meine Schimpftriaden zu verstehen.
»Ich hab es gewusst! Ich hab es verdammt noch mal gewusst«, antwortete ich ihr prompt und gereizt, die Fragezeichen in den Gesichtern aller, die nicht der deutschen Sprache mächtig waren, geflissentlich ignorierend.
Ich kramte ungehalten in den Schubladen, bis ich die Topflappen endlich gefunden hatte, schlüpfte in sie hinein und holten den restlos verbrannten und pechschwarzen "Hügel", wie Collin es so schön formuliert hatte, aus dem Ofen heraus.

»Oh.«
Bobby.
»Wirklich geistreich«, meinte ich mit einem bitteren Lachen und meine Stimme troff nur so vor Sarkasmus.
Im Moment machte ich mir nicht die geringsten Sorgen, dass er mich vielleicht falsch verstehen könnte und außerdem war er meine Ausbrüche mittlerweile gewohnt.
Das hoffte ich zumindest für ihn, denn damit würde er sich sein Leben lang rumschlagen müssen.
»Ach Kleines, das kann man bestimmt noch essen«, versuchte Catherine die Situation zu retten, war neben mich getreten und hatte mir einen Arm um die Schulter gelegt, »Es sieht bestimmt schlimmer aus als es ist.«
»Ja, genau«, krächzte ich und spürte Tränen in meinen Augen, die ich krampfhaft versuchte wegzublinzeln.
Ich hatte alles vorbereitet.
Alles.
Jedes kleinste Detail geplant und spätestens als Ronnie und Collin aufgetaucht waren, war alles drunter und drüber gegangen.
Das war wirklich…
Aargh, ich wollte, dass diese Weihnachten perfekt sein würden.
Sie sollten verdammt noch mal die schönsten Weihnachten meines bisherigen Lebens sein sollten.

»Das… esse ich nicht mehr.«
Mein Gott, ich war ja so stolz auf meine Wortwahl!
»Hayley…«, setzte Bobby an, doch ich unterbrach ihn mit einer unwirschen Geste meiner Hand.
»Lass es«, grummelte ich und versuchte ihm mit einem Lächeln zu bedeuten, dass es nicht soo schlimm war.
Natürlich stimmte das ganz und gar nicht. Nichts war in Ordnung.
Ich war… wütend. Verdammt wütend.
Und das hatte mit niemanden etwas zu tun, der sich hier im Raum befand.
Nein, ich war auf Weihnachten wütend, auf die Gans, die kohlrabenschwarz vor mir lag und seelenruhig vor sich hin dampfte, ich war wütend auf den Ofen, der doch eiiinmal von selbst hätte ausgehen können. So durch Zufall…
Ich war wütend auf die banalsten Dinge.

Mein Dad und Henry schienen sich bestens zu amüsieren, denn die beiden konnte sich nur noch schwerlich zurückhalten und versuchten wirklich krampfhaft nicht jeden Augenblick laut losprusten zu müssen.
Mom lugte vorsichtig auf die Gans und ich konnte ihr ansehen, dass sie das genauso wenig essen würde wie ich.
Bobby sah zerknirscht aus.
Ich wusste, dass er sich auf die Gans wie ein Honigkuchenpferd gefreut hatte, vor allem, da ich die Soße nach dem Rezept seiner Mutter hatte machen wollen.
Und Catherine…
Die hatte klein Collin hochgehoben, der neugierig von einem Gesicht zum anderen schaute und versuchte Artemis auszumachen.

Es war still, nur das leise Gedudel des Radios, das immer noch fröhlich Weihnachtslieder vor sich hin spielte, erfüllte die Luft und ab und an konnte man ein leises Miauen von Artemis vernehmen.
Mir wurde das zu viel.
»Wer hat Lust auf Pizza?«, platzte es plötzlich und verdammt laut aus mir heraus und das war der Punkt, an dem Henry und Dad sich nicht mehr zusammenreißen konnten.
Ihr Lachen schallte tief und überaus laut durch die Küche und bald fielen auch Ronnie, Mom, Catherine und Collin mit ein.
Bobby stand weiterhin neben mir, gab mir einen flüchtigen Kuss und schmollte stillschweigend vor sich hin.
Die Gans war wirklich das Geschenk schlechthin für ihn am heutigen Abend gewesen.
Ich seufzte, machte mich, nachdem ich mich noch einmal kurz an ihn gekuschelt hatte, von ihm los und suchte die Nummer von unserer Lieblingspizzaria in London heraus.

Wir brauchten eine Weile, bis sich jeder wirklich sicher mit seiner Bestellung war und am Ende - und natürlich auch, weil Weihnachten war - bestellte ich drei große Magarita, eine große Hawaii, zweimal Schinken, vier große Diabolo und noch einmal vier extragroße mit viel Käse, Salami, Schinken und Tomatenscheiben.
Der junge Mann, den ich tatsächlich ans Telefon bekommen hatte, wirkte sehr überrascht bei der großen Bestellung an Heiligabend, doch nachdem ich ihm von der verbrannten Gans erzählt hatte - nun ja, ich hatte vielmehr gejammert -, hatte er sich auch köstlich amüsiert und versprochen, dass die Pizzen so schnell wie möglich gebracht werden würden.
Was ein Glück wurden sie uns vor die Haustür geliefert.
Bilder, von mir und Bobby, mit Pizzakartons an Weihnachten bepackt, waren nicht gerade das, was ich mir unter den idealen Bildern für die Boulevardpresse zu Neujahr vorstellte.
Ich hatte da erst letzte Woche mitbekommen, wie durchaus amüsant viele es fanden, wenn einem vor Heiligabend irgendwas peinliches, beziehungsweise brisantes passierte.
April konnte davon ein Liedchen singen.

Wir waren langsam aber sicher ins Wohnzimmer übergesiedelt, unterhielten uns und versuchten unsere knurrenden Mägen zu ignorieren, da die Pizza ja bald kommen würde.
Ich hatte einen Bärenhunger und ich konnte Bobby deutlich ansehen, dass es ihm nicht anders erging.
Collin hatte sich endlich etwas mit Artemis angefreundet, die sich neben mir und Bobby auf dem Sofa breit gemacht hatte und sich bereitwillig von dem Kleinen Streicheleinheiten verpassen ließ.
Er fragte Bobby nach seiner Gitarre, überredete ihn dazu, später etwas für ihn zu spielen, während er mich über meinen Beruf ausquetschte.
Natürlich konnte ich ihm eine Menge spannender Geschichten bieten, die er noch keine tausendmal gehört hatte, weshalb er sofort Feuer und Flamme war.
Besonders über die Zeit in Schottland stellte er fragen.
Collin fragte mich andauernd nach Nessie, dem Monster von Loch Ness und um ehrlich zu sein, nach dem dritten Mal ließ ich mir einfach eine Geschichte einfallen und erzählte ihm von meiner ersten Begegnung mit dem Seeungeheuer, das eigentlich ein ganz braves Mädchen war.
»Wirklich?«, fragte er mich gerade mit großen, glänzenden Augen und war vollkommen Feuer und Flamme.
»Ja«, bestätigte ich mit einem ernsten Nicken, »Nessie ist wirklich riiiesig. Aber sie ist ganz lieb. Besonders gerne mag sie es, wenn man sie vorsichtig am Hals streichelt.«
Ich hatte mich an Bobbys Brust gelehnt, sein Arm lag um meiner Hüfte und sein Daumen malte beruhigende Kreise auf meiner Hand, während er ab und an einen Kuss in meinem Nacken platzierte.
Collin wollte gerade eine weitere Frage zu meinem kleinen Märchen stellen, als es an der Tür klingelte.

»Ich geh schon«, meinte ich, doch schien es niemand mitzubekommen, von Bobby und Collin, doch vor allem von Artemis – natürlich musste die Kleine sich sofort lautstark beschweren -, mal abgesehen.
Seufzend stöckelte ich in meinen High Heels in den Flur und fragte mich schon zum hundertsten Mal, wieso ich diese verfluchten Schuhe noch nicht ausgezogen hatte.
»Ich komme!«, rief ich laut, als ich an der Tür ankam und am Griff herumwerkelte, da er auf einmal nicht ganz so wollte, wie ich es gerne gehabt hätte.

Ein Blick durch den Türspion zeigte mir, dass die Pizzen endlich angekommen waren, denn außer weißen Pappkartons, konnte man nichts sehen.
»Frohe Weihnachten!«, tönte es mir freundlich entgegen und ein ziemlicher Jungspund drückte mir die Kartons mit einem breiten Grinsen in die Hand.
»Frohe Weihnachten«, erwiderte ich und bedeutete ihm ungeschickt mit der Hand, mir nach drinnen zu folgen, da ich das Geld vollkommen vergessen hatte.
Im Wohnzimmer war es still geworden, das Radio war leiser gedreht und ich konnte deutlich Henry, Bobbys Vater, hören, wie er eine ziemlich lustige Weihnachtsgeschichte zum Besten gab.
Im Vorübergehen sah ich Collin, der es sich auf Bobbys Schoß gemütlich gemacht hatte und gespannt lauschte, während die anderen einfach Schmunzeln mussten.

»Wie viel bekommst du?«, fragte ich, dem Pizzaboten den Rücken zugewandt und kramte in meinem Geldbeutel nach ein paar Scheinen, die ich ihm in die Hand drücken konnte.
»40 Pfund. Weihnachtsrabatt«, lachte er und als ich mich zu ihm umdrehte und ein „Stimmt so“ flötete, schien er plötzlich ganz aus dem Häuschen zu sein.
»Wow, sind Sie wirklich Hayley? Hayley Ludwig?«
Sofort verflüchtigte sich mein Lächeln.
Das brauchte ich nicht.
Und Bobby wollte ich das erst Recht nicht antun.
»Nein, tut mir leid«, murmelte ich vor mich hin und hatte es plötzlich eilig, den Burschen wieder aus der Wohnung zu scheuchen, »Schon komisch, wie häufig mir das gesagt wird. Nun ja, ich denke, da musst du noch etwas öfter Pizza ausliefern, bevor du jemanden wie Hayley Ludwig triffst. Da kannst du ja gleich erwarten, dass Robert Pattinson dir die Tür öffnet.«
Tatsächlich wäre das durchaus möglich gewesen.
April und Robert hatten eigentlich vorgehabt ebenfalls vorbeizukommen, doch waren die beiden in letzter Zeit ziemlich vorsichtig geworden, was die Öffentlichkeit anging und deshalb mehr als erleichtert gewesen, als Roberts Mom Claire, die beiden zu sich nach Hause eingeladen hatte.
Ich seufzte resigniert.
»Einen schönen Abend noch«, grummelte ich leicht verstimmt vor mich hin und schloss die Tür, gleich nachdem der Pizzabote durch sie hindurch gegangen war.

Kopfschüttelnd machte ich mich auf den Weg in die Küche, holte Teller und Besteck heraus und versuchte möglichst viel von einer Pizza auf einen Teller zu packen.
Alles auf einmal würde ich sowieso nicht schaffen.
Ich schnappte mir die ersten beiden und machte mich auf den Weg ins Wohnzimmer.
Als Collin die dampfenden Teller in meinen Händen entdeckte, sprang er sofort auf uns rannte auf mich zu. Und auch, wenn der Kleine nichts dazu konnte, war das wohl der größte Fehler dieses Abends gewesen.
In seinem Übereifer war er nämlich Artemis auf den Schwanz getreten, die sich gerade auf dem Boden ausgestreckt hatte und ihr beiges Fell putzte.
Als sein kleiner Füß auf ihrem empfindlichen Schwanz landete, war sie sofort wild fauchend aufgesprungen, zuerst auf Bobbys Bein, dann auf die Couch und schließlich auf den Weihnachtsbaum losgegangen.
Ich hielt die Luft an, genau wie der Rest, denn das kleine, wild gewordene Fellknäul hing nur an einer schillernd roten Weihnachtskugel, die gefährlich zu wackeln begann.
Bobby, ausgerechnet Bobby, wollte sie befreien, doch wie sollte es anders sein, kletterte sie nur noch weiter, tauchte plötzlich im Grün der Nadeln unter und es war still.
Ich hätte meine rechte Hand darauf verwettet, dass man eine Stecknadel gehört hätte, wenn man eine auf den Boden hätte fallen lassen.
Doch es war nur die Ruhe vor dem Sturm.

Mit einem Ächzen, kippte die Tanne immer weiter zur Seite und Artemis rettete sich im letzten Moment durch einen waghalsigen Sprung und krallte sich an Bobbys Bein – wie hätte es auch anders sein sollen – fest, bevor der Baum mit einem dumpfen und lauten Knall auf den Boden aufprallte.
Die Kugeln zersprangen, die Lichterkette wurde aus der Steckdose gerissen und überall waren grüne Tannennadeln verteilt.
Ich sank langsam auf die Couch, unfähig auch nur ein Wort von mir zu geben, während Bobby Artemis fluchend packte und etwas unsanft auf den Boden setzte.
Einen Augenblick beobachtete ich die Szene, die sich mir da gerade bot.
Mom und Dad saßen da, musterten abwechselnd einander und den umgestürzten Tannenbaum, Catherine und Henry stellten Spekulationen über die heil gebliebenen Christbaumkugeln an und Collin und Ronnie...
Die beiden saßen da und konnten sich ein Kichern einfach nicht verkneifen.
Erst die Gans, dann der Baum.

»Ich hab gewusst, dass der niemals stehen bleibt«, platzte es plötzlich aus mir heraus und ich musste Lachen, als Bobby dunkelrot anlief vor Scham.
Schnell ging ich zu ihm und schlang meine Arme um ihn und beteuerte, dass das bei mir bestimmt auch passiert wäre, während der Rest der Anwesenden in schallendes Gelächter ausbrach.
Bobby musterte gemeinsam mit mir das Chaos, dass Artemis mit ihrem Sprung in den Baum veranstaltet hatte und bald fielen wir in das fröhliche Gelächter ein.
Es war unweigerlich komisch.
Man konnte es einfach nicht lassen, man war gezwungen zu lachen.

Kopfschüttelnd machten wir es uns alle gemütlich, während zum gefühlten millionsten Mal „Last Christmas“ im Radio lief, als Collin die Situation rettete.
»Mommy, ich weiß, dass ist wirklich lustig, aber ich habe sooooo viel Hunger!«
Um seine Worte zu unterstreichen streckte er seine Arme so weit es nur ging, was uns alle wieder zum Lachen brachte.
Der Kleine war einfach zu niedlich.
Catherine und Ronnie erklärten sich bereit mir zu helfen und kurz darauf hatten wir es uns alle mit der Pizza gemütlich gemacht, hörten und sangen Weihnachtslieder, umringt von Tannennadeln, kaputten Weihnachtskugeln und einer beleidigten Artemis, die es sich wohl allein aus Protest auf dem umgestürzten Baum gemütlich gemacht hatte.

Es war alles andere als das perfekte Weihnachten.
Doch es war mit Abstand das Schönste, was ich je erlebt hatte.


PLATZ 2.
des "FanFiktionTwilightAdventskalender"-Oneshotwettbewerbs 2010